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Zu Weihnachten liegen wieder viele Computer unter dem Tannenbaum. Oft
steckt darin ein Pentium-III-Prozessor der Firma Intel. Wer mit so
einem Rechner im Internet surft, riskiere seine Anonymität, warnt ein
Bericht an das Europäische Parlament. Darin weisen die Mitglieder des
beratenden Gremiums STOA (Scientific and Technological Options
Assessment) auf die Gefahren der Informationstechnik hin. Die Experten
berichten über Möglichkeiten, Telefon, Fax und E-Mail zum Zwecke der
Industriespionage zu nutzen.
Rechner mit dem Pentium-III-Mikroprozessoren kommen den Datensammlern
dabei entgegen. Denn jeder Chip besitzt eine unverwechselbare
Seriennummer, die sogenannte PSN (Processor Serial Number). Diese soll
es ermöglichen, Versender von E-Mails eindeutig zu identifizieren und
den Handel im Internet sicherer zu machen. Nach heftigen Protesten
von Datenschützern hatte der Hersteller Intel zwar schon vor
Auslieferung der ersten Chips dafür gesorgt, dass der PC-Nutzer selbst darüber
entscheiden kann, ob die PSN weitergegeben wird oder nicht.
Dieser Schutz ist aber nur ein Stück Software und für Angreifer mit
entsprechenden Kenntnissen leicht zu umgehen. Das zeigten Experten der
Computerzeitschrift c't schon wenige Tage nachdem die ersten Chips mit
PSN auftauchten.
Nummern, die nichts nützen
Vollkommen offen sei auch, so der STOA-Report, ob die Nummer ihren
Zweck als Identifikationsbeweis für Internet-Geschäfte überhaupt erfüllen kann. Denn sobald die Nummer weitergegeben wird,
können andere Programme sie verändern. Die EU-Kommission solle daher prüfen,
inwieweit US-Nachrichtendienste auf die technischen Details der PSN
Einfluss genommen haben und Nutzen daraus ziehen können. Je nach
Ausgang dieser Prüfung solle die EU auch einen Verkaufsstopp von
Pentium-III Rechnern in Erwägung ziehen.
Dass US-Dienste auf Hersteller von Software Einfluss nehmen, scheint
kein Einzelfall zu sein. Betroffen sind auch die umstrittenen Verschlüsselungsprogramme, mit denen Botschaften im Internet vor
unberechtigtem Zugriff geschützt werden sollen. Die Schlüssellängen entscheiden dabei
über die Wirksamkeit des Schutzes. Grundsätzlich gilt: je länger desto sicherer. Nach Erkenntnissen der STOA-Experten
sind in den Export-Versionen von Microsoft- und Netscape-Browsern
vom angeblich 128 Bit langen Schlüssel nur 40 Bit wirksam, die
restlichen 88 Bit schwimmen im verschlüsselten Text mit. E-Mails sind
deshalb für Hochleistungsrechner trotz Codierung lesbar - allerdings
nur für den US-Geheimdienst NSA (National Security Agency), der weiss,
wo er die versteckten 88 Bit zu suchen hat.
Schon in den siebziger Jahren hatte die NSA begonnen,
über die
Schweizer Firma Crypto AG gezielt unsichere Verschluesselungssysteme
zu vertreiben, die Hintertüren für die eigenen Arbeit enthielten.
1997 entdeckte die schwedische Regierung, dass ihre Version des E-Mail
Programmes Lotus Notes eine Hintertür für die NSA enthielt. Von der
versprochenen 64 Bit Verschlüsselung waren nur 40 wirksam. Mit
diplomatischem Druck versuchte 1998 US-Sonderbotschafter David Aaron,
die Europäer zu einer restriktiven Verschlüsselungspolitik zu bewegen.
Insbesondere frei erhältliche Programme von Universitäten sind den
Amerikanern ein Dorn im Auge, denn diese weisen keine NSA-Hintertürchen auf.
Seit dem 1997 publizierten ersten STOA-Report weiss die
Öffentlichkeit um Echelon, einem von Grossbritannien, Kanada, Neuseeland und Australien
finanziertes System, das über ein globales System von Funkstationen
und Spionagesatelliten alle Arten von Funkwellen auffängt und nach
brauchbaren Informationen hin durchforstet. Echelon war ein Kind des
kalten Krieges und zunächst rein militärisch ausgerichtet. Heute
soll es vor allem der Wirtschaftsspionage dienen, sagen die STOA-
Experten. Der Vorwurf führte bis März diesen Jahres allerdings zu
keiner Reaktion.
Der Chef des australischen Geheimdienstes DSD (Defence Signals
Directorate) war es, der dann die Existenz von Echelon bestätigte.
Der Geheimdienstler war offensichtlich verärgert darüber, dass die
Australier trotz hoher Beiträge für Echelon nur wenig brauchbare
Informationen enthielten. So waren in ihrer Version der Abhör-
Protokolle Namen durch allgemeine Begriffe wie "amerikanischer Staatsbürger" ersetzt worden. Ausgewertet wird die Ernte von
Echelon nämlich nur an einem Ort: in der NSA-Zentrale in Fort Meade
im US-Bundesstaat Maryland, wo 20.000 Personen Ordnung in die
Datenflut bringen.
Dabei schöpfen die USA offensichtlich auch Unterseekabel ab.
Über diese Kabel läuft auch im Satellitenzeitalter ein Grossteil der
Telekommunikation und des Internet-Verkehrs. Bill Clinton soll noch
1997 U-Boot-Besatzungen für ihren erfolgreichen Einsatz im Mittelmeer
und dem vorderen Orient ausgezeichnet haben, lautet ein Vorwurf im
STOA-Bericht.
Reizwort Gaddafi
Die Internet-Gemeinde wehrt sich gegen Echelon auf ihre Weise. Sie
erklärte den 21. Oktober zum "Aergere-die-NSA-Tag" und versandte
massenweise E-Mails mit Reiznamen wie "Gaddafi" oder "bin Laden".
Weit ärgerlicher für die Internet-Spione dürfte jedoch der Vorstoss
des republikanischen Kongressabgeordneten Bob Barr sein. Er
veranlasste den US-Kongress dazu, von NSA und CIA einen Bericht über die gesetzlichen Grundlagen ihrer
Lauschtätigkeit zu fordern.
Denn Echelon hört auch US-Bürger ab, was dem Auslandsgeheimdienst
nicht gestattet ist.
Der technische Fortschritt arbeitet
für die Geheimdienste. Die
Computerindustrie hat dem Kabelsalat, der jeden Rechner umgibt, den
Kampf angesagt. Drucker, Scanner und andere Geräte sollen drahtlos
mit dem PC kommunizieren. Die dabei abgestrahlten Funkwellen sind
genau wie die millionenfach verbreiteten Handys ein idealer Nährstoff für die niedrig fliegenden Echelon-Satelliten. Das
Europäische Parlament, so die abschließende Empfehlung des jüngste STOA Berichts,
sollte sich dringend um zusätzlichen Abhörschutz für Computer und
Telekommunkation innerhalb der Gemeinschaft bemühen.
Bernd Schöne