Redebeitrag auf der Antifa-Demo
„Gemeinsam dem rechten Vormarsch entgegentreten. Vandalen zurück in den Sumpf!"
am 11.9.99 S-Bhf. Greifswalder Str. bis zum „Clubhaus“ der „Vandalen“.
Die Veranstalter haben mich als Spitzenkandidatin
für die Demokratische Linke gebeten, heute hier zu reden, aber keine
Wahlkampfrede zu halten. Das versuche ich und beginne mit nachdenklichen Zitaten
des Schriftstellers Stefan Zweig über „Die Welt von Gestern“. Er analysiert
die geistigen Stimmungslagen vor den ersten beiden Weltkriegen. Er beschreibt
die Ahnungslosigkeit der Intelligenz und die Verharmlosung der braunen Gefahr:
Die Inflation, die Arbeitslosigkeit , die politischen Krisen ... hatten das
deutsche Volk aufgewühlt; ein ungeheures Verlangen nach Ordnung war in allen
Kreisen des deutschen Volkes, dem Ordnung von je mehr galt als Freiheit und
Recht. Und wer Ordnung versprach – selbst Goethe hat gesagt, dass Unordnung
ihm unlieber wäre als selbst eine Ungerechtigkeit - , der hatte von Anbeginn
Hunderttausende hinter sich.
Aber wir merkten noch immer nicht die Gefahr. Die wenigen unter den
Schriftstellern, die sich wirklich die Mühe genommen hatten, Hitlers Buch zu
lesen, spotteten, anstatt sich mit seinem Programm zu befassen, über die
Schwülstigkeit seiner papiernen Prosa. Die großen demokratischen Zeitungen –
statt zu warnen – beruhigten tagtäglich von neuem ihre Leser, die Bewegung,
die wirklich nur mühsam mit den Geldern der Schwerindustrie und verwegener
Schuldenmacherei ihre enorme Agitation finanziert, müsse unvermeidlich morgen
oder übermorgen zusammenbrechen. ...
Und schließlich, was konnte sie Gewalttätiges durchsetzen in einem Staate, wo
das Recht fest verankert war, wo im Parlament die Majorität gegen sie stand und
jeder Staatsbürger seine Freiheit und Gleichberechtigung nach der feierlich
beschworenen Verfassung gesichert meinte? ...
Verankert in unseren Anschauungen des Rechts, glaubten wir an die Existenz eines
deutschen, eines europäischen, eines Weltgewissens und waren überzeugt, es
gebe ein Maß von Unmenschlichkeit, das sich selbst ein für allemal vor der
Menschheit erledige. Da ich versuche, hier so ehrlich als möglich zu bleiben,
muß ich bekennen, dass wir alle 1933 und noch 1934 in Deutschland und
Österreich jedesmal nicht ein Hundertstel, nicht ein Tausendstel dessen für
möglich gehalten haben, was dann immer wenige Wochen später hereinbrechen
sollte. ...
(Es gibt) Nichts Gespenstischeres, als wenn im Leben das, was man längst
abgestorben und eingesargt, vermeint, plötzlich in gleicher Form und Gestalt
wieder an einen herantritt.“
Berlin im September 1999. Berlin ist wieder Sitz einer Kriegsregierung. Mit
deutschen Waffen, mit deutschem Geld wird in Osttimor gemordert und der nächste
Militärangriff vorbereitet. In Brandenburg kommt ein General und
Ordnungsfanatiker an die Regierung, der noch vor einem Jahr von Berlin aus mit
gestapoähnlichen Methoden massenhaft Kriegsflüchtlinge aus dem Schlaf gerissen
und nach Bosnien-Herzegowina abgeschoben hat. Die Rechtsextremen kommen in den
Landtag. 50 Prozent der Brandenburger Bevölkerung sind nicht zur Wahl gegangen.
Heute demonstrieren wir dagegen, dass die faschistischen Vandalen sich seit den
80er Jahren in Berlin ausbreiten können.
Wir fordern: Schluß mit der Verharmlosung des braunen Sumpfes.
Keinen Fußbreit den Nazis.