Terrorismus und Weltwirtschaft

Wie die USA ihre geopolitische und wirtschaftlichen Interessen durchsetzen

indymedia.de
Michael Schneider


Momentan sieht kaum jemand die geopolitischen und wirtschaftlichen Gründe für ein Engagement der USA in Afghanistan. Hier einige Informationen dazu.

Notwendige Vorbemerkungen:
1.) Ich sympathisiere nicht mit Terroristen.
2.) Ich verfechte keine "globale Intrigen" oder Verschwörungstheorien.
3.) Ich bin unabhängig und keiner Partei verpflichtet.
4.) Ich bin Journalist und Wirtschaftsfachmann, speziell für den Nahen Osten und Zentralasien.
5.) Ich kenne die Regionen, weil ich dort lebe.

Zusammenfassung

Die allgemeine politische Lage in der Welt konzentriert sich derzeit auf die Bewältigung der Terrorattacken in den USA. Die von der Bush-Rede vor dem US-Kongress ausgehende weltweite Terroristenbekämpfung wird Realität. Dabei wird derzeit aber völlig übersehen, dass dieses Szenario - Kampf gegen Bin Ladin und die Taliban - voraussehbar war und aus wirtschaftlichen und geopolitischen Gründen logisch ist.

Geopolitische Ambitionen der USA im kaukasisch-zentralasiatischen Raum

Eine detaillierte Analyse kann man anhand von Dokumenten und Gesetzgebungsverfahren in den USA selbst vornehmen, ich will mich hier vor allem auf einen Punkt konzentrieren: die Rolle der USA bei der Erschließung der Erdöl- und Erdgasreserven im Raum des Kaspischen Meeres.

Nach übereinstimmenden Bewertungen von Fachleuten ruhen im Raum das Kaspischen Meeres die zweitgrößten Energiereserven der Welt, die bisher bekannt sind. Es ist nicht ausgeschlossen, das diese Reserven noch sehr viel größer sind als bisher bekannt, auch wenn man den Raum noch größer annimmt, da bisher ja im wesentlichen nur vom Kaspischen Meer an sich und den nahem Uferzonen als Lagerstätten die Rede war und ist. Geologische Strukturen weisen aber darauf hin, dass auf dem östlichen Festland (also in Kasachstan, Turkmenistan, möglicherweise auch Usbekistan) noch große unbekannte Lagerstätten auf ihre Entdeckung warten.

USA-Konzerne, insbesondere Chevron, sind in dieser Region seit Jahren sehr aktiv und investieren bislang mehr als 20 Milliarden US-$. Das internationale Geflecht von Firmen rund um das Kaspi-Meer ist sehr verworren, da alle Anrainerstaaten (mit Ausnahme Irans) frühere Sowjetrepubliken waren. Das heißt: amerikanisches Engagement in dieser Region zählt zu den herausragenden Säulen amerikanischer Außen- und Wirtschaftspolitik, da es in erster Linie um einen "Kampf um strategische Rohstoffe" geht, der in dieser Region noch den besonderen Aspekt hat, dass die finanzstarken amerikanischen Konzerne sich auf die breite Unterstützung durch das State Department stützen können, da sie direkt gegen russische Interessen operieren. Der Bau der ersten Erdölleitung von Baku an das Schwarze Meer (Poti in Georgien) und der gegenwärtige Bau der wesentlichen größeren Leitung nach Poti ) die dann weiter nach Cayhan in die Türkein führen soll) verschaffen einem Teil der Anrainerstaaten den großen Vorteil, völlig unabhängig vom russischen Pipelinesystem Erdöl und Erdgas weltweit zu verkaufen.
Doch dieser Weg hat in den Augen der USA-Strategen nur nachrangige Bedeutung, da (und dies ist das Kuriose an der Baku-Poti-Leitung) die Russen immer mit im Boot sitzen, da sie über ihren Firmenbeteiligung nicht unerhebliche Anteile in fast allen Anrainerstaaten haben. Die USA favorisieren eine Pipeline zum Indischen Ozean und zwar nach Pakistan. Nach dem Ende der Kämpfe zwischen sowjetischen Truppen und den von den USA unterstützen "islamischen Freiheitskämpfern" setzten die USA große Hoffnungen auf die Realisierung dieses Planes, der ein Investitionsvolumen von deutlich mehr als 15 Milliarden Dollar hat und indirekt (mit weiteren Investitionen in Fördergebiete) ein Volumen von 50 Milliarden Dollar erreichen kann. Das Volumen der förderfähigen Mengen an Erdöl und Erdgas beträgt aber eine Vielfaches dieser Investitionen. Doch die Installation des Taliban-Regimes, der fortwährende Bürgerkrieg in Afghanistan und schließlich die unverhohlene Ausrichtung des Taliban- Regimes auf eine extreme Variante der Islam-Auslegung versetzten den USA einen jahrelangen Dämpfer. Turkmenistan, das einzige Land der früheren Sowjetunion, das sich nicht am internationalen Kampf gegen den Terrorismus beteiligt (!), hat gegen den "Rat" der USA und Russlands die Möglichkeiten des Erdölexportes über den Iran angenommen. Turkmenistan steht aber in einer unheilvollen politischen Entwicklung, die talibanfreundlich ist und eine absolutistische Diktatur des gegenwärtigen turkmenischen Präsidenten ist. Obwohl alle Nachbarstaaten Afghanistans in den letzten Jahren bereits oder nun in den letzten Tagen ihre Grenzen zu Afghanistan geschlossen haben, konnte sich Turkmenistan zu diesem Schritt nicht entschließen. In der Region ist es ein offenes Geheimnis, das die in Afghanistan ausgebildeten Terroristen über Turkmenistan problemlos in alle Welt gelangen können. Die alten Schmuggelwege über Turkmenistan werden sehr aktiv genutzt, um vor allem Rauschgift nicht nur über die Achse Tadschikistan-Usbekistan-Kasachstan zu verteilen.
Trotz aller Bemühungen ist es den USA seit vielen Jahren nicht gelungen, die Taliban zu einer Kursänderung zu bewegen. Trotz vieler Millionen Hungerhilfe, trotz Hilfe bei landwirtschaftlichen Projekten waren die Taliban nicht bereit, von ihren extremistischen Positionen, für die sich kaum ein Argument im Koran findet (!), abzuweichen. Damit stand seit etwa zwei Jahren bereits in den strategischen Denkstuben der USA fest: Die Taliban müssen beseitigt werden! Die doch relativ schnellen "Fahndungserfolge" des FBI lassen den Schluss zu, dass es durchaus vor den Anschlägen Informationen gab, denn es ist unvorstellbar, dass aller Geheimdienste dieser Welt ahnungslos waren. Wenn dies so wäre, dann verwundert das noch mehr, dass so kurzfristig erste Informationen über die Attentäter vorlagen.

Folgen des USA-Engagement in Afghanistan

Genau genommen haben die USA (indirekt auch für ihre Verbündeten) Afghanistan und den Taliban den Krieg erklärt. Es scheint ausgeschlossen, dass die Taliban auch nur die Spur einer Chance hätten, den Angriffen der Alliierten zu entgehen. Damit ist das Schicksal der Taliban besiegelt: Sie werden beseitigt, und zwar so gründlich, dass in der Region Friedhofsruhe einzieht. Nach allgemeinen Informationen zählen die Taliban etwas 40.000 Mann, mehr beherrschen das Volk nicht! Bin Ladin hat in Afghanistan etwa 3.000 bis 6.000 Mann unter Waffen, die aber nicht zu den Taliban gehören sondern unabhängig von den Talibanstrukturen existieren und agieren. Das afghanische Volk hat mit der extremen Koranauslegung der Taliban nichts im Sinne, dennoch ist zu befürchten, dass ein Teil der Bevölkerung aufgrund der doch sehr extremen Propaganda der Taliban auf deren Linie eingeschwenkt sind. Verlässliche Angaben darüber gibt es nicht, auch die Geheimdienstkreise sind auf Annahmen angewiesen (eventuell mit Ausnahme des Russischen Geheimdienstes, der aber längst nicht alle Territorien in Afghanistan abdeckt!). Es ist aber zu befürchten, dass sich die radikalen Extremisten längst nach Turkmenistan abgesetzt haben und von dort aus in andere arabische Staaten erreicht haben. Dies bedeutet nur, dass von einer Zerschlagung der terroristischen Netzwerkstrukturen in absehbarer zeit nicht die Rede sein kann, da niemand weiß, wer die eigentlichen führenden Köpfe dieser Netzwerkstruktur sind. Namen gibt es allenfalls drei bis fünf, aber keinerlei detaillierte Beweise über deren Beteiligung an Terrorakten bzw. deren Vorbereitung.
Der zweite Punkt, der für die USA von immenser Bedeutung ist, wäre die Tatsache, dass in Kürze eine den USA freundlicher gesonnene Regierung in Afghanistan installiert werden kann. Dies ermöglicht dann den USA- Konzernen, die seit 1990 etwa geplante Pipeline nach Pakistan endlich zu bauen und die Ausbeutung der kaukasisch-zentralasiatischen Energiereserven zu forcieren. Ein gigantisches Geschäft wird damit möglich. Es zeigt dann sehr deutlich, wie eng die Verflechtung zwischen Konzernen und Regierungen in den USA ist und wie eng man Hand in Hand arbeitet. (Es sei anderen vorbehalten, mögliche Beziehungen zwischen Terrorattacken und amerikanischen Konzernen aufzudecken, aufgrund meiner zentralasiatischen Erfahrungen kann ich mir durchaus vorstellen, wie dieser Beziehungen funktionieren, aber dazu gibt es natürlicherweise keinerlei Informationen der Beteiligten!) Es ist jedenfalls erstaunlich, wie viele verschiedene Fragen und Probleme die USA in der Folge der Terrorattacken beantworten und lösen können. Ihnen fällt der Schlüssel für kaukasisch-zentralasiatische Region quasi von selbst in die Hand, sie nehmen Iran noch mehr in die Zange, sie stehen noch dichter am Irak, sie beeinflussen die künftige Außenpolitik Russlands deutlich stärker als zuvor (wobei gleichzeitig natürlich auch die Russen profitieren, denn wer wird es jetzt noch wagen, etwas gegen ein sehr viel härteres Vorgehen der russischen Antiterrorstreitkräfte in Tschetschenien einzuwenden?). Außerdem steht nun in Frage, ob die beiden geplanten Pipelines nach Westchina (eine durch Kasachstan, die andere durch Usbekistan und Kirgistan) jetzt noch wie vorgesehen gebaut werden und ob die russische Leitung von Sibirien nach China als Konkurrenzprojekt noch Bestand hat. Die amerikanischen Strategen (die im übrigen namentlich kaum bekannt sind!) haben jetzt aber noch viel mehr in der Hand: der Zugang zu einem künftig mehr demokratischen Pakistan, wobei die USA auf den Faktor Demokratie in Zukunft verzichten können, wenn der neue gemeinsame Nenner Terrorismusbekämpfung ausreichend ist. Dies bedeutet auch gewaltigen Einfluss auf dem gesamten indischen Subkontinent, denn damit wird auch die Kaschmirfrage reif für eine Entscheidung. Auf der anderen Seite der Berge können die USA ihren Einfluss vor allem im strategisch wichtigen Usbekistan verstärken, sozusagen als Gegengewicht zu den aktuellen, vor allem wirtschaftlich gebotenen neuen Beziehungen zu Russland. Dahinter steckt aber dann immer noch die Mär von dem "Reich des Bösen", womit statt der Sowjetunion nun Russland gemeint ist. Und die USA brüskieren damit aber auch die Europäische Union, die große Mittel für die kaukasisch-zentralasiatische Region bereitstellte, um die Abhängigkeit von russischen Verkehrs- und Transportwegen zu beseitigen, aber im Gegensatz zu den USA keinen entscheidenden politischen Einfluss in der gesamten Region erzielen konnte.
Im Endeffekt zeigt sich heute deutlicher denn je für aufmerksame politische Beobachter, dass es seit 1989/90 keinerlei Änderung in der amerikanischen Position gegenüber anderen Staaten gegeben hat. Im Gegenteil: Die Methoden sind feiner geworden, die Aktionen komplexer und internationaler. An sich ist das nicht beunruhigend, wenn da nicht ein alles entscheidender Punkt wäre: Wer es sich jetzt wagt, gegen die Rolle der USA oder gegen die USA an sich auch ein Fünkchen Kritik zu üben, ist automatisch ein Terrorist.

Michael Schneider us123456@about.com

(Anmerkung: Aus Platz- und leseökonomischen Gründen habe ich auf möglichst viele fremdländische Namen und Quellenangaben verzichtet, wer will, kann ja unter den entsprechenden Stichworten im Internet suchen. Die meisten Informationsquellen sind in englisch, aber auch in deutsch sind einige verfügbar.)[[/i]]